Sep 20

Eoin Colfer: Artemis Fowl – Die Akte

Über Artemis Fowl habe ich ja schon einiges hier in diesem Blog berichtet. Durch einen Kollegen bin ich auf ein quasi außer der Reihe erschienenes Buch namens „Die Akte“ gestossen. 2004 wurde dieser Band sozusagen dazwischen geschoben und dürfte nur für Fans interessant sein (=als Einstieg in die Serie nicht zu empfehlen). Was kriegt man also auf den 170 Seiten geboten? Einmal die Geschichte von Holly Shorts Zulassungsprüfung zur ZUP-Abwehr (nach deren Lektüre man auch weiß, warum sie wie zu Trouble Kelp und Commander Julius Root steht) und die Geschichte wie Artemis Fowl und Mulch Diggums das Fei-Fei-Diadem stehlen, das Artemis seiner Mutter schenkt. Außerdem ein paar „Interviews“ mit den Hauptcharakteren der Serie, ein paar (eher für Kinder interessante) Spielchen und einen in „gnomischer“ Schrift geschriebenen Text über mehrere Seiten. Letzteren habe ich mir ehrlich gesagt gespart zu übertragen. Bestimmt gibt es jemanden, der sich schon mal die Mühe gemacht hat, das online zu stellen, oder?

Fazit: Nette Unterhaltung für Fans; keine großen Überraschungen – ein klassiches „nice to have“, aber kein Muss.

Die in einigen Bereichen entstandene Grundsatzdebatte, ob Colfer mit diesem Buch nur zusätzlich Geld scheffeln wollte oder es sich um ein nettes Feature für Fans handelt möchte ich hier nur insoweit eingehen: So what? Keiner ist gezwungen das Buch zu kaufen, aber es ist auf jeden Fall eine nette Ergänzung der regulären Reihe.

„Artemis Fowl – Die Akte“ gibt es als Taschenbuch, Gebundenes Buch und als Hörbuch. Bei letzterem würde mich sehr interessieren, wie die Rätsel und die Interviews umgesetzt wurden.

Aug 24

Sergej Lukianenko: Weltengänger

Dieser Russe ist ganz klar zu meinem Lieblings-ScienceFiction/Fantasy-Autor geworden. Auch in „Weltengänger“ zu dem es mittlerweile sogar eine Fortsetzung („Weltenträumer“) gibt wird dem Leser wieder eine ganz neue Welt aufgetan-

Worum geht’s?

Der Ich-Erzähler in Gestalt des Moskauers (wie sich die Dinge nur immer wiederholen) Kirill kommt eines Tages zurück in seine Wohnung und muss feststellen, dass dort eine Frau wohnt, die er nicht kennt und sein Hund ihn nicht mehr wiedererkennt. Im Laufe des nächsten Tages erkennen ihn auch seine Freunde und sogar seine Eltern nicht mehr. Dafür erhält er einen mysteriösen Anrufen, der ihn zu einem verlassenen Wasserturm lotst und ihm eine neue „Funktion“ zuweist: Die des Grenzers zwischen verschiedenen Welten. Dafür erhält er einige beeindruckende neue Fähigkeiten und Kontakt zu anderen Funktionalen. Etwas komplizierter wird es, als er einige Widerstandskämpfer gegen die Herrschaft der Funktionale kennenlernt.

Und – wie war’s?
Mehr als nur ein Hauch von Matrix weht durch dieses Buch, das ist unverkennbar. Dennoch hat das Buch seinen ganz eigenen Stil und die Anzahl der vorgestellten Welten und deren Komplexität ist deutlich höher. (Hier hätten sich die Wachowski-Brüder mal etwas für die lahmen Matrix-Fortsetzungen abschneiden können…). Sprachlich wie immer gut gelungen, enttäuscht hauptsächlich die Spannungskurve im letzten Fünftel und nicht zuletzt das Ende, das etwas hastig kommt und – ähnlich wie Matrix Revolutions – unvollständig und daher unbefriedigend ist. Grade so als hätte der Autor zwar noch viele Ideen aber einfach keine Lust mehr gehabt dieses Buch fertig zu schreiben, sondern lieber auf die Fortsetzung zu setzen.

Mein Fazit: Gut, aber nicht der ganz große Wurf.

„Weltengänger“ gibt es derzeit nur als broschiertes Buch.

Aug 15

Eoin Colfer: Artemis Fowl – Die verlorene Kolonie

Der fünfte Band der Artemis Fowl Reihe liess als Taschenbuch leider sehr lange auf sich warten. Damit einher geht ein Wechsel des Verlags.Leider hat es Ullstein versäumt das Cover-Desigh der Buchrücken beizubehalten, so dass sich das ganze etwas unschön im Regal macht. Klarer Punktabzug für Ullstein!

Worum geht’s

Dass das 14jährige Genie Artemis Fowl tatsächlich seine Fühler und Finger vom Erdvolk lässt hat kein Fan wirklich geglaubt. Dass er ohne eigene finanzielle Absichten eine größere Aktion startet, um das Erdvolk zu retten ist aber ebenso unglaubwürdig. Doch genau so sieht es aus: Die Dämonen (eine in einer Zeitblase gefangene Familie des Erdvolks) drohen ihren Schutz zu verlieren und damit die Unterirdischen der Entdeckung Preis zu geben. Artemis will das (ganz selbstlos?) verhindern, trifft jedoch auf massiven Widerstand in Gestalt eines 12jährigen weiblichen Genies, das seinen pubertierenden Intellekt in mehrfacher Hinsicht herausfordert.

Und – wie war’s?

Übersprudelnd von obskuren Ideen, gibt sich Colfer hier nicht mit bereits erreichtem zufrieden. Durch die Einführung der neuen Erdvolk-Familie der Dämonen (die übrigens sehr gelungen und lustig dargestellt werden), dem Wichtel Doodah Day und der ersten (fast) ebenbürtigen Gegnerin für Artemis in Gestalt von Minerva liegt hier der Fokus nicht mehr so sehr auf bereits bekanntem. Natürlich dürfen sich Foley und Diggums wieder necken und auch der Konflikt zwischen Holly Short und der ZUP köchelt weiter. Eine gelungene Mischung aus bekanntem/erwartetem und genug neuem in gleicher Qualität.
Für mich der bisher beste Artemis Fowl!

„Artemis Fowl – Die verlorene Kolonie“ gibt es bei Amazon als Taschenbuch, Hörbuch und gebundene Ausgabe.

Aug 08

Ted Dekker: White

Untertitel: Der Kreis schließt sich (Original: „White – The Great Pursuit“)

Nach „Black – Die Geburt des Bösen“ und „Red – Der Tod des Meisters“ stellt „White – Der Kreis schließt sich“ den Abschluß der Triologie von Ted Dekker dar.

Worum geht’s

Das geheimnisvolle Raison-Virus wird von einer skrupellosen Gruppe als Druckmittel für die größte vorstellbare internationale Erpressung verwendet. Thomas Hunter kann durch seine Träume in zwei Parallelwelten an der Lösung des Problems arbeiten. In der Traumwelt sieht er sich mit einer sehr parallel gelagerten, aber in anderer Form auftretenden Realität konfrontiert. Immer mehr durchschaut er die Zusammenhänge und schafft es weiteren Personen eine Verbindung zur Parallelwelt zu ermöglichen. Kompliziert wird es vor allem, als er sich in die Prinzessin der Wüstenhorde verliebt, die sich weigert, ihren Lebensstil aufzugeben.

Und – Wie war’s

Das Buch ist sehr spannend geschrieben und sehr vielschichtig. Als Buch an sich überzeugt es. Es will aber mehr sein: Eine Parabel über die Parallelität geistlicher und weltlicher Realität und über die in der Offenbarung geschilderten Vorgänge. Diesem Anspruch wird das Buch (leider) nicht gerecht. Die Parallelen sind zu weit hergeholt oder nicht stimmig. Trotzdem wie gesagt ein spannendes Buch! Sprachlich gewandt und schneller gelesen, als man das bei über 400 Seiten vermuten würde.

White – Der Kreis schließt sich“ gibt es auf deutsch bisher nur als Gebundene Ausgabe.

Noch mal der Hinweis:
Neben der extrem umfangreichen englischen Seite www.teddekker.com gibt es mit www.ted-dekker.de auch ein deutsches Pendant. Aufwändig angelegt, aber leider sehr lieblos gefüllt: Ganze 2 Blogeinträge in fast einem Jahr (einer davon ein Testeintrag) zeichnen ein trauriges Bild von Pressearbeit.

Jul 31

Cornelia Funke: Tintenherz

Die Tintenwelt-Triologie von Cornelia Funke hat in Deutschland etliche Rekorde gebrochen. Ein Grund für mich, selbst einmal den ersten Band zu lesen: Tintenblut.

Die Geschichte
Mo(rtimer) ist ein Buchliebhaber und -restaurator. Er lebt seit einem geheimnisvollen Vorkommnis zusammen mit seiner Tochter Meggie an wechselnden Orten auf der Flucht vor der Vergangenheit. Diese holt ihn aber in Form seines alten Bekannten Staubfinger eines Tages ein. Zusammen mit der Tante des Mädchens werden sie in die fiesen Machenschaften des Bösewichts Capricorn hineingezogen, der versucht sie für seine Zwecke zu mißbrauchen.
Eine Schlüsselrolle spielt das Buch „Tintenherz“, bei dem es eine Verbindung zwischen der realen Welt und der Welt im Buch gibt. Noch komplizierter wird das ganze, als der Autor von Tintenherz die Bühne betritt.

Meine Bewertung
Cornelia Funke ist Kinderbuchautorin. Das merkt man. Für mich war das Buch leider größtenteils vorhersehbar und langweilig. Keine echten Überraschungen und sprachlich auch eher schlicht gehalten. Der Vergleich mit J. K. Rowling drängt sich auf und die Britin schneidet aus meiner Sicht deutlich besser (im Sinne von phantasievoller, spannender und tiefgründiger) ab.
Die beiden anderen Bände liegen schon bei mir im Regal. Mal sehen, ob sich die Triologie noch steigert.

„Tintenherz“ gibt es als Gebundenes Buch und als Hörbuch. 2006 haben Dreharbeiten für eine Hollywood-Verfilmung begonnen. Es gibt auch ein Buch zum Film mit Fotos aus dem Film, das derzeit nur vorbestellt werden kann.

Jul 15

Henryk M. Broder: Die Irren von Zion

Als Vorbereitung auf eine Reise nach Israel wurde mir dieses Buch von Henryk M. Broder aus dem Jahr 1999 zugesteckt. Broder schreibt u. a. regelmäßig für den Spiegel und gilt als äußerst schlagfertiger Provokateur, der ordentlich austeilen kann (s. a. „Hurra wir kapitulieren„).

In „Die Irren von Zion“ schildert Broder in kleinen, jeweils in sich abgeschlossenen Berichten und Interviews die Gegensätzlichkeit im Israel der 90er. Wie nicht anders zu erwarten kriegt so ziemlich jede Gruppierung ihr Fett weg – von den radikalen jüdischen Siedlern, über Hamas-Funktionäre, versöhnungswillige oder orthodoxe Rabbis bis hin zu Außenstehenden, die „den ganzen Konflikt sowieso nicht verstehen können, aber immer eine Lösung wissen“. Sehr amüsant zu lesen (wobei man sich manchmal schon sehr wundern muss, was im „Heiligen Land“ so alles blühen kann) und auf jeden Fall informativ. Als gute Ergänzung zu „O Jerusalem“ und „Exodus“ bringt dieses Buch die aktuelle Lage in Israel gut zu Papier. Allerdings leider nur bis zum Jahr 1999 – und seitdem ist schon wieder einiges Wasser den Jordan hinuntergeflossen, sind einige Abkommen getroffen und gebrochen worden, ist Arafat gestorben und die zweite Intifada ausgebrochen (Ganz zu schweigen vom Libanon-Krieg etc.)… Interessant auch zwei Doppelinterviews, die jeweils im Abstand einiger Jahre mit der gleichen Person unter geänderten politischen Rahmenbedingungen entstanden sind.

Geschrieben ist das ganze als ziemlich böse Polemik. Es gibt keine Lösungsansätze, sondern nur bitteren Spott und Hohn für all die verqueren Ideen. Aber das ist wenigstens witzig. Nicht besonders vertrauenserweckend ist, was er über El Al schreibt, deren Service ich ja auch noch testen können werde:

Hat der Reisende einen Flug bei El Al gebucht, geht das Abenteuer gleich an Bord weiter. Riesenwindelpakete, originalverpackte Stereoanlagen und größere Küchengeräte fliegen als Handgepäck mit und wollen in den Fächern über oder unter den Sitzen verstaut sein. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der Reise kann man heimkehrende Israelis von normalen Touristen unterscheiden. Die Israelis laufen erst einmal das ganze Flugzeug auf und ab, um zu sehen, ob Bekannte und Nachbarn an Bord sind, bevor sie sich auf Plätze setzen, für die sie keine Bordkarten haben. Anschließend beschweren sie sich darüber, daß sie nicht die Sitze bekommen haben, die sie eigentlich haben wollten. Das El Al Personal schaut dem wilden Treiben untätig zu, als wollte es sich an den Passagieren dafür rächen, daß diese einen El-Al-Flug gebucht haben. „Selber schuld!“ steht in ihren Gesichtern, eine Mischung aus Verachtung und Schadenfreude. Sobald das Flugzeug in der Luft ist, werden sie sich an den Fluggästen schadlos halten. Wer Huhn essen möchte, bekommt Rind; Vegetarier werden mit geräuchertem Fisch bestraft; jedes Getränk muß erbettelt oder in der Bordküche geholt werden. Flanierende Raucher sogen dafür, daß der Rauch sich gelichmäßig im Raum ausbreitet. Beschwerden von Nichtrauchern werden wie Briefe an den Nikolaus behandelt.

Das kann ja heiter werden 🙂

„Die Irren von Zion“ gibt es als Taschenbuch und als Gebundene Ausgabe (wobei letztere gebraucht günstiger sein kann, als ein neues Taschenbuch…

Jul 08

Sergej Lukianenko: Spektrum

Sergej Lukianenko hat bei mir von den „Wächter der Nacht“-Romanen her einen dicken Stein im Brett. Aber kann er auch außerhalb dieser Reihe brillieren?

Spektrum spielt in nicht weniger als sieben fiktiven Welten und einer Erde in der Zukunft. Außerirdische, die sich selbst „die Schließer“ nennen haben auf allen namhaften Planeten Stationen errichtet, um zwischen den Welten zu reisen. Einzige Voraussetzung ist, dass man eine gute Geschichte erzählen, kann um die Einsamkeit und Traurigkeit der Schließer zu vertreiben. Jeder, der mindestens einmal eine solche Reise angetreten hat, kann ab sofort „Touristisch“ sprechen und verstehen (eine Art Weltall-Esperanto).

Martin ist Russe und ein erfahrener Reisender, der als Detektiv sozusagen dienstlich viel unterwegs ist. Bei einem Suchauftrag nach einem Mädchen begegnet ihm eine seltsame Anomalie und nach und nach beginnt er an den Motiven der Schließer zu zweifeln.Zudem interessiert sich der Staatssicherheitsdienst nach jeder Rückkehr mehr für ihn.

So mancher Schriftsteller wäre überfordert sich genügend Einfälle für nur eine fremde Welt auszudenken, bei Lukianenko sind auch sieben kein Problem. Philosophisch und tiefgründig geht es zur Sache, an einigen Stellen auch mit einer Tiefe religiöser Symbolik, die man einem atheistisch erzogenen ehemaligen Sowjetbürger wohl am wenigsten erwarten würde. Spannend zu lesen und zum Nachdenken anregend. Hier eine kleine Leseprobe:

Martin lachte unfroh auf „Stimmt, du hast recht. Ein großer Teil der Menschheit würde hervorragend mit rein instinktivem Handeln zurande kommen. Ihr Verstand schlummert. IIch neheme an, bei den meisten humanoiden Zivilisation ist es nicht anders. Aber was folgt daraus?“
„Wozu braucht man den Verstand?“
„Als Mittel des Überlebens….“
„Wozu braucht man den Verstand?“ blaffte Pawlik…

Die erfundenen Welten sind für sich genommen jeweils kleine Kunstwerke mit einer ganz spezifischen Ausrichtung. Es macht Spaß sie zu entdecken, sich in die Denkweise der Bewohner hineinzudenken und Parallelen zu ziehen bzw. das Fehlen von Analogien zu bemerken. Auf jeden Fall eine Empfehlung.

„Spektrum“ gibt es als Taschenbuch.

Jun 16

Marina Lewycka: Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch

Ein großer Erfolg in Großbritannien. Cover und Titel wirken ungewöhnlich und machen neugierig.

Worum geht’s
Ein 87jähriger Witwer überrascht seine beiden seit dem Tod der Mutter zerstrittenen Töchter mit der Nachricht, dass er eine 36jährige Ukrainerin mit operativ vergrößertem Vorbau ehelichen möchte. Ein Kennenlernen zwischen Kindern und Stiefmutter vor der Hochzeit lehnt er ab. Es kommt wie es kommen muss: die neue Ehefrau entpuppt sich als interessierter am – nicht vorhandenen – Geld des Witwers, als an der Pflege desselben. Die beiden Töchter versuchen einzugreifen, was Ihnen in dem gleichen Maße besser gelingt, wie sie es schaffen mehr über die eigene Vergangenheit herauszufinden und sich wieder zu vertragen.
Der leicht debile Vater schwadroniert dabei immer wieder über sein Lebenswerk, eben die kurze „Geschichte des Traktors“ auf Ukrainisch.

Gut geschrieben?
Der Plot könnte ein Sozialdrama, eine Komödie oder ein sentimentales Rührstück werden, ist alles drei ab und an und doch etwas ganz eigenes. Die Autorin (deren eigene Vita stark an die protagonierende Tochter erinnert) schafft es anzurühren und Hintergründe über das Leben osteuropäischer Immigranten in England zu vermitteln. Ich hatte mir vorher mehr Witz erwartet, konnte aber über die geschilderten Begebenheiten nicht wirklich lachen. Macht aber nix, denn dafür habe ich ein interessantes Buch gelesen, dessen 355 Seiten man in ca. 2-3 Tagen locker durch hat. Was ich etwas schade finde, ist dass die Figur der Valentina eigentlich nur klischeehaft ist und keinerlei positive Aspekte hat. Da hätte man mehr draus machen können.

„Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ gibt es als Taschenbuch und als Hörbuch.

Jun 07

Mikael Niemi: Populärmusik aus Vittula

Das schwedische Teenager-wird-Erwachsen-Buch von Mikael Niemi brach in Schweden sämtliche Rekorde. Nachdem eine Kinovorschau der Verfilmung mein Interesse geweckt hatte, habe ich einige Jahre später zugegriffen.

Worum geht es?
Das Leben an der Grenze zwischen Schweden und Finnland ist gewöhnungsbedürftig in den 60er Jahren. Die Leute sind schrullig, das Sprachwirrwarr perfekt, die Winter lang und hart, der Alkohol teuer und eine von amerikanischen Cousins eingeschmuggelte Beatles-Platte ein echter Lichtblick. Genau hier durchlebt der Titelheld seine Jugendjahre und lässt den Leser sehr plastisch teilhaben. Aus der Rückschau erzählt und mit einigem Hintergrundwissen über das, was die Welt in dieser Ecke des Globus zusammenhält wird hier eine fremde Kultur und ein Stück europäische Zeitgeschichte vermittelt.
Erzählt werden dabei hauptsächlich nach Kapiteln geordnete Episoden, die nicht unbedingt immer einen direkten Zusammenhang zum vorherigen Kapitel haben, was aber nicht weiter stört. Der rote Faden, auf den nach diversen Exkursen immer wieder zurückgekommen wird, ist die Band, die sich im Laufe des Romans langsam bildet und schließlich auch zusammen auftritt. Solche Episoden sind beispielsweise ein Sommerjob als Rattenjäger, eine Hochzeit verfeindeter Clans, ein Aufklärungsgespräch in der Saune (bei dem es um alles geht, was ein junger Mann wissen muss, aber überhaupt nicht um Sex), einen selbstorganisierten Kinderausflug fast bis nach China und noch einiges mehr, was hier nicht verraten werden soll.

Was macht dieses Buch besonders?
Die sprachliche Ausdrucksfähigkeit, die Vielzahl gut gewählter Metaphern, die Mischung aus brüllend-komisch und ernsthaft-deprimierend, die ausführlichen Beschreibungen von Gefühlslagen, die genaue aber nie langweilige Beobachtung von Situationen – all das macht dieses Buch sehr lesenswert.

Ein unfairer Vergleich
Dieses Buch hatte ich gleichzeitig mit „Fleisch ist mein Gemüse“ gekauft, da es den Anschein hatte, es handele sich um ein ähnliches Thema und man könnte beide Bücher spasseshalber vergleichen. Kann man natürlich nicht, aber ich mach’s trotzdem:
– In beiden Büchern geht es um das Aufwachsen auf dem Land unter dem besonderen Einfluß der Musik
– Während Heinz Strunk die Musik letztendlich hasst, aber fast keinen anderen Lebensinhalt hat, lieben die Schweden die Musik, beschäftigen sich aber hauptsächlich mit anderen Dingen. Dafür ist Strunk ein Virtuose und die Vittula-Jungs beherrschen ihre Instrumente definitiv nicht
– Nach FimG fühlt man sich deprimiert, in Vittula hat man das Gefühl, dass es einige Probleme gibt, man dort aber insgesamt trotzdem ganz gut leben kann

Populärmusik aus Vittula gibt es als Taschenbuch und als Hörbuch. Außerdem wurde es verfilmt und ist daher auf DVD erhältlich. Interessanterweise gibt es keinen Soundtrack.

Mai 27

Eric T. Hansen: Planet Germany. Eine Expedition in die Heimat des Hawaii-Toasts

Ein überraschendes Geschenk dieses Buch. Komische Type auf dem Cover und eine Abhandlung über deutsche Identität – muss man sich das geben? Ja, muss man, wenn es so lustig und von Eric T. Hansen geschrieben ist!

Als ausgewanderter Hawaiianer, der sich seinen amerikanischen Nationalstolz bewahrt hat und trotzdem die liebenswerten und seltsamen Eigenarten „der Deutschen“ kennen- und offensichtlich auch lieben gelernt hat, ist er optimal qualifiziert zum Verfassen dieses Buches. Sein Schreibstil ist frisch und witzig, aber nicht zu oberflächlich. Er hat sich nicht nur so seine Gedanken gemacht und diese in durchzechten Nächten in seinen Computer gehackt, sondern auch einige sehr witzige Aktionen gestartet. Darunter eine Anfrage an alle Parteien des deutschen Bundestages, „was Goethe und Schiller für Deutschland bedeuten“ und eine Anfrage an 20 deutsche Universitäten zur Einrichtung eines Lehrstuhls für Nörgelästhetik.

Die Kapitel tragen ebenso lustige wie erhellende Namen wie „Die Deutschen wissen, dass sie wirtschaftliche Probleme haben, aber nicht, dass sie eine Wirtschaft haben“ oder „Die Deutschen machen aus ein paar toten Dichtern dermaßen Kult, dass man auch fast meint, sie würden sie auch lesen“. Stets eloquent und augenzwinkernd ist das genau das richtige Buch zum Abschalten. Auch das urdeutsche Trauma der Nazizeit wird natürlich nicht ausgespart („Die Deutschen meinen, Hitler gehöre ihnen ganz allein“). Dort ist unter anderem zu lesen:

Man braucht sich unter den Deutschen nur mal umzuhören, warum sie so sind, wie sie sind:
„Warum seid ihr alle aus der Kirche ausgetreten?“
„Das hat etwas mit unserer Erfahrung im Dritten Reich zu tun. Seidem glauben wir an nichts mehr.“
„Warum verteufelt ihr Patriotismus so sehr?“
„Das hat etwas mit dem Dritten Reich zu tun. Seidem sind wir dem Staat gegenüber sehr skeptisch.“
„Wie kam es, dass dieses Land, das sonst einen recht guten Geschmack hat, solch eine kulinarische Perversität wie den Hawaii-Toast erfinden konnte?“
„Das hat mit dem Dritten Reich zu tun. Damals war es uns verboten, Schinken, Käse, Ananas und Toastbrot zu kombinieren oder Gerichten nach exotischen Inseln zu benennen.“

Angenehm auch: Das Buch ist von 2007 und ich kannte die meisten erwähnten Politiker, Popgruppen und Zeitschriften aus eigenem Erleben und nicht nur aus Geschichtsbüchern.

„Planet Germany“ gibt es als Taschenbuch.