Mai 03

Sergej Lukianenko: Wächter des Morgen

Der fünfte Band der „Wächter“-Reihe setzt auf Bewährtes. Die Figuren sind weitgehend bekannt, doch das Universum wird um einen weiteren Aspekt erweitert. Plötzlich gibt es Propheten und den „Tiger“ – ein aus dem Zwielicht erscheinendes Geschöpf, das über unüberwindbare Kräfte verfügt.

Wer dachte, dass ohne den sympathischen Vampir Sauschkin die Geschichten rund um die Tag- und Nachtwache endgültig zu Ende erzählt wären, der irrt sich. Dass Lukianenke dem alten Tausendsassa die Ideen ausgehen kann ohnehin niemand ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Zu viel Freude macht ihm offensichtlich die Lust am Fabulieren und Erfinden. Es wird aber auch zunehmend deutlicher, dass durch die bisher getroffenen Aussagen zur Funktionsweise seiner Fantasiewelt weitere bahnbrechende Neuerungen und Erweiterungen immer einen ganzen Rattenschwanz an Erklärungen nach sich ziehen. Das wirkt manchmal etwas dröge, wird dem geneigten Leser aber wohl aufgrund der (weitgehenden) Stimmigkeit des Gesamtkonstrukts eher zupass kommen.

Bei „Wächter des Morgen“ lernen wir neue Figuren kennen, treffen die alte Bekannte Arina wieder und erfahren Neues über das Zwielicht. Wie gewohnt wird auch viel über das Leben, die Liebe und die Gesellschaft philosophiert. Unter anderem lesen wir über das Verhältnis der „Anderen“ zu den etablierten Religionen. Der Glaube an höhere Mächte wird von diesen nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern es ist „Privatsache“ jedes einzelnen. Das Umgehen mit der in Lukianenkos Universum praktizierten Magie ist ohnehin ein sehr technischer Vorgang und auch die Überzeugungen haben nur teilweise Auswirkungen darauf, ob jemand ein „Lichter“ oder „Dunkler“ ist. Lukianenko macht diese Zugehörigkeit eher am Grad des vorhandenen Egoismus fest, liefert mit dem Chef der Nachtwache aber auch ein wunderbares Beispiel für einen Egomanen als „hohem Lichten“. Interessant zu lesen und eine nette Abwechslung zum Standard-Fantasy-Genre bei dem klassischer Glaube entweder keinen Platz hat oder nur in Form von durchtriebendem Klerus mittelalterlicher Prägung auftaucht. Spannend auch, wenn man Lukianenko in gewisser Weise als Spiegel der russischen Gesellschaft betrachtet, die ja unter kommunistischer Herrschaft streng atheistisch war und auch in dieser Hinsicht seit dem Fall der Sowjetunion einiges nachgeholt hat.

„Wächter des Morgen“ gibt es als Taschenbuch, Kindle-Ausgabe
oder Hörbuch.

Nov 12

Daniel Suarez: „Daemon“ und „Darknet“

Bei netten Kollegen hatte ich die beiden Bücher „Daemon“ und „Darknet“ ausgeliehen.

Worum geht es?

In „Daemon“ geht es nicht etwa um Auswüchse der Unterwelt, sondern um einen – sehr an Steve Jobs erinnernden – visionären und sehr vermögenden Spieldesigner der nach seiner Krebserkrankung die Welt durch einen sehr ausgefuchsten daemon der ganz konkrete Auswirkungen auf das reale Leben hat in Atem hält. Durch das automatische Verteilen winziger Auftragspakete an einzelne Firmen und Personen die voneinander nichts wissen, aber gemeinsam etwas bewirken passieren sehr viele Dinge, die die Weltordnung in Frage stellen.

In „Darknet“ ist der daemon so weit fortgeschritten, dass weite Teile der Gesellschaft unterwandert sind und eine neue Gesellschaftsordnung entwickeln, die alternative Formen der Energiegewinnung und gegenseitigen Interaktion erproben. Dazu nutzen die Darknet-Mitglieder u. a. ein HUD-Display, das frappierend an Googles Project Glass erinnert. Die derzeitigen Machthaber blasen zum Gegenangriff und es kommt zum großen Showdown.

Und – wie war’s?

Spannend – wenn auch für meinen Geschmack etwas zu actionlastig – geschrieben verbinden die Romane Gesellschaftskritik mit einer Variante von Science Fiction, die man schon fast als realistisch bezeichnen muss. Manchmal hätte ich mir etwas mehr Theorie gewünscht, als anregende Unterhaltung aber auf jeden Fall zu empfehlen.

Sep 23

Frank Schätzing: Limit

Frank Schätzing hat bei mir den Ruf des deutschen Dan Brown weg. Ihr Stil ist einfach sehr ähnlich, auch wenn die Themenfelder sich unterscheiden. Auf Limit habe ich länger gewartet, bis es endlich als Taschenbuch verfügbar war. Nachdem er mit „Der Schwarm“ einen sehr engagierten, gut lesbaren und thematisch interessanten Thriller abgeliefert hatte (den ich während der Deepwater Horizon Affäre gruseligerweise gerade zum zweiten mal las) war ich sehr gespannt auf „Limit“ das statt in der Tiefe des Ozeans in den Höhen des Alls spielt.

Umso enttäuschter war ich, als ich auf den ersten 300 Seiten mit viel zu vielen unnötigen Charakteren und deren letztlich irrelevanten Lebensgeschichten konfrontiert wurde. Vorsicht: Laber- und Langeweile-Alarm! Die wie immer gut recherschierten und anschaulich dargelegten Details über die Auswirkungen der Schwerelosigkeit und die Probleme der Raumfahrt konnten mich nicht so richtig fesseln. Besser wurde das Buch, als es auf die zweite Handlungsebene wechselte: Im modernen China lässt sich ein Hightech-Ermittler auf die Fährte einer Dissidentin ansetzen. Warum er zur Einführung und ohne weiteren Bezug zur sonstigen Handlung in der Hölle eines Kinderschänderrings ermitteln muss kann nur dramaturgischen Gründen geschuldet sein. Trotz dieses sinnlos-wiederlichen Einstands wuchs mir Jericho schnell ans Herz und seine Ausführungen über chinesische Kultur, die Wirtschaft Chinas und deren Auswirkungen auf den Rest der Welt erscheinen sowohl hoch spannend, als auch sehr interessant.

Leider hat Schätzing wohl an einigen Stellen zu sehr eine mögliche Verfilmung vor Augen – detailliert beschreibt er geradezu Drehbuchlike irrwitzige Actionszenen, die den erwachsenen Leser eigentlich eher langweilen, als Begeisterung hervor zu rufen.

Mein Fazit: Interessante Ansätze auf der zweiten Handlungsebene, aber insgesamt eher ein Buch, das man nicht die vollen 1293 Seiten lesen muss.

Limit gibt es als Taschenbuch.

Sep 18

Alexey Pehov: Die Chroniken von Siala 1-3 (Schattenwanderer/Schattenstürmer/Schattentänzer)

Die Triologie „Die Chroniken von Siala“ mit den Titeln Schattenwander, Schattenstürmer und Schattentänzer hat mir im Sommer etliche angenehme Lesestunden beschert. Geschrieben wurde diese einfallsreich geschriebene Fantasy-Miniserie von Alexey Pehov (Jahrgang 1978!). Mit einer guten Mischung aus genretypischen Bestandteilen (Kämpfe, Orks, Die-Welt-muss-gerettet-werden), Neuschöpfungen (Walder die Stimme-im-Kopf, Hrad Spine die Grabkammer der Völker, Diebes-Kontrakte), eigenen Schwerpunktsetzungen (Zauberei vs. Schamanismus, Gildentum) und Umdeutungen (Vampire mal anders) hat mich diese Reisebeschreibung in seinen Bann gezogen.
Erzählt aus der Ich-Perspektive des Meisterdiebes Garret wird dieser mehr oder weniger gezwungen eine selbstmörderische Rettungsaktion zu unternehmen. Ihm werden einige Mitstreiter zur Seite gestellt, die dem Leser während der Erzählung ans Herz wachsen und deren Eigenheiten und Geheimnisse im Laufe der Handlung ans Licht kommen. Das ganze findet in einem stark an Mittelerde erinnernden Setting statt, hält aber einige Besonderheiten bereit. Selbst eine philosphische Komponente fehlt nicht. Interessant fand ich, dass – entgegen dem allgemeinen Trend – keinerlei romantische Verwicklungen den Handlungsfluss stören.

Das Ende ist leider für meinen Geschmack etwas zu wenig pathetisch und fad, aber dafür stimmen die Details während der gesamten Lektüre. Hier hat nicht nur jemand eine Story abgeliefert, sondern sich ernsthaft Gedanken über eine ganze Welt gemacht. Sehr sympathisch. Auch an Humor mangelt es nicht.

Zum Lesevergnügen trug aber auch die tolle Übersetzung von Christiane Pöhlmann bei, die sich ja schon bei der Übersetzung der „Wächter der Nacht“-Bücher verdient gemacht hatte. Selbst die Wortspiele von Personen- und Ortsnamen scheinen durch und sorgen für ein gelungenes Gesamtbild.

Die Chroniken von Siala gibt es als Taschenbücher:
Schattenwanderer: Die Chroniken von Siala 1
Schattenstürmer: Die Chroniken von Siala 2
Schattentänzer: Die Chroniken von Siala 3

Apr 28

Hape Kerkeling: Ich bin dann mal weg – Meine Reise auf dem Jakobsweg

Dass dieses Buch es bei mir schwer haben würde war klar: Ein Komiker schreibt ein Buch über eine Pilgerreise, tritt damit eine deutschlandweite Jakobsweg-Welle los (wie zuvor Shirley McLane für England und Paulo Coelho für den portugiesischen Sprachraum) und verdient sich durch Talkshows tingelnd eine rotgoldene Nase damit. Durch einen glücklichen Zufall fiel mir eine schöne gebundene Ausgabe zu und ich habe mir – 10 Jahre nach dem Boom – die in leicht verdaulichen Happen verpackte Lektüre in den letzten zwei Wochen angetan.

Was man dem Buch sicherlich zugute halten muss: es kommt durch und durch authentisch rüber. Der Leser erfährt viel über die Ansichten des sonst eher schrill auftretenden Comedians und auch einiges über seine Lebensgeschichte. Das alles allerdings verpackt in eine unglaubliche Ansammlung von Banalitäten und Belanglosigkeiten gepaart mit ein paar aus den Fingern gesaugten spirituell klingenden Vokabeln. Man soll sich natürlich nicht über die Gefühlswelt und die Glaubenswelt anderer echauffieren – allerdings hat es schon etwas bizarres, wenn auf dem Jakobsweg pilgernd die Vorzüge des Buddhismus breit getreten, von der Teilnahme an einem Reinkarnationsseminar erzählt und am Schluß zu resümieren:

„Und wenn ich es Revue passieren lasse, hat Gott mich auf dem Weg andauernd in die Luft geworfen und wieder aufgefangen. Wir sind uns jeden Tag begegnet.“

Dazwischen geht’s um nervige und freundliche Mitpilgerinnen, den Gestank nach Kuhdung und die Aussicht auf dem Weg. Klingt komisch und ist es auch. Auch stilistisch wurde zwischen den persönlichen Aufzeichnungen (wo alles erlaubt ist) und der Veröffentlichung anscheinend nicht viel Hand angelegt.

Ich kann den Boom um das Buch überhaupt nicht nachvollziehen. Als persönliches Reisedokument sicher eine schöne Erinnerung für Hape – als Quelle spiritueller Inspiration eine absolute Nullnummer.

„Ich bin dann mal weg“ gibt es als Taschenbuch, Gebundene Ausgabe und als Hörbuch.

Feb 19

Lothar-Günther Buchheim: Das Boot

Der Film von Wolfgang Petersen aus dem Jahr 1981 hat mich schon länger fasziniert – vor allem nachdem er 1997 als Director’s Cut in die Kinos kam. Als mir durch Zufall das zugrunde liegende Buch in die Hände fiel, habe ich mich natürlich gleich an die Lektüre gemacht.

Anders als im Film, spielt im Buch der Kriegsberichtserstatter selbst die Hauptrolle. Alles wird aus seiner Perspektive geschildert. Aufgrund seiner Rolle hat er Zugang zu den Aufenthaltsorten (und Gedanken) aller Dienstgrade, ohne eigene Karten im Spiel zu haben und kann sich somit das umfassendste Bild von den Geschehnissen an und über Bord machen. Mit einem hohen Maß an Selbstreflexion und Erfahrung kann er als relativ neutraler Beobachter auftreten und schildert seine Beobachtungen und Schlussfolgerungen.

Durch das Buch erhält man einen noch viel besseren Einblick in das Leben an Bord, das neben dem Fieber der Jagd vor allem auch aus viel Routine, Vorbereitung („Alarmtauchen“) und gähnender Langeweile und Warten besteht. Die Gespräche der einzelnen Charaktere sind der Schlüssel zu ihrem jeweiligen Weltverständnis. Im Mikrokosmos des Stahlsargs kommt dem Kommandanten eine quasi gottgleiche Rolle zu. Während der Flucht vor feindlichen Booten werden existentielle Ängste nicht nur erwähnt sondern nachfühlbar dargestellt. Wenn die Luft im Boot knapp wird und sich die Außenhäute bei Überschreitung der werkseitig zugelassenen Tiefe knarzend zusammenziehen und die ersten Nieten abspringen, fühlt man als Leser intensiv mit. Seltsam, dass ein Buch so nahegehend sein kann ohne einer echten Dramaturgie zu folgen. Vielleicht liegt es einfach daran, dass man weiß, dass sich solche Schicksale zu Tausenden zugetragen haben und die technische Überlegenheit des Gegners zunehmend für schwierigere Überlebensbedingungen sorgte. Was mich etwas wundert ist, dass die Hintergründe des Krieges und dessen (Un)rechtmäßigkeit kaum thematisiert werden. Es wird zwar ausgiebig über die unfähige Führung gelästert, aber wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass man sich hier Hunderte Meter unter Wasser als Jäger und Gejagter instrumentalisieren lässt ist überraschend wenig Thema.

Für mich ist „Das Boot“ ein zeitloses Buch und auf jeden Fall eine Empfehlung.
Das Boot gibt es als Taschenbuch und als Hörspiel.
Vom Film sollte man zwischen dem Director’s Cut der Kinofassung und der (längeren) TV-Fassung unterscheiden.

Jul 24

Sven Regener: Der kleine Bruder

„Der kleine Bruder“ füllt (einen Teil der) Lücke zwischen „Neue Vahr Süd“ und „Herr Lehmann„. Es handelt sich also sozusagen um Teil 2 von derzeit 3. Inhaltlich ist aber keineswegs ausgeschlossen, dass es zwischen den derzeitigen Teilen 2 und 3 noch weitere Bücher geben könnte oder auch einen Teil vor dem ersten Teil. Soweit verwirrt? Macht nix!

Worum geht’s?
Frank Lehmann ist frisch aus der Bundeswehr gefeuert und fährt mit dem Punk Wolli im Auto nach Westberlin, um seinen Bruder Manfred zu suchen und dort neu zu starten. Das Buch schildert die ersten 48 Stunden von Frank (der später zu Herrn Lehmann wird) – und diese 48 Stunden haben mehr in sich, als manche Leute in mehreren Jahren erleben. Frank trifft auf verrückte (Pseudo-)Hausbesetzer, die Band Dr. Votz, Hinterhof-Punks und weitere Originale. Er erfährt einiges über Kunst und lernt hinter dem Tresen zu überleben. Schliesslich findet er nach diversen Irrungen und Wirrungen auch seinen Bruder und beschließt in Berlin zu bleiben.

Und – wie war’s?
Mit Neue Vahr Süd war ein echter Klassiker vorgelegt worden, an dem der Nachfolger sich natürlich messen lassen muss. Allein schon aufgrund der halben Seitenzahl bleibt aber natürlich einiges an Entwicklungspotential auf der Strecke. Alles muss etwas schneller gehen und das gelingt dem Text ganz gut. Obwohl sehr viele Charaktere vorkommen hat man gleich das Gefühl sie einschätzen zu können. Was beibehalten wurde ist der schnodderige Tonfall, die Absurdität der Situationen und auch immer wieder die Absurdität der inneren Monologe von Frank.

Fazit: Lustige Unterhaltung in gewohnter Qualität.

„Der kleine Bruder“ gibt es als Taschenbuch, als Gebundene Ausgabe und als Hörbuch

Jul 18

Oliver Uschmann: Murp

Es ist ungewöhnlich in eine Serie beim vierten Band einzusteigen. Aber irgendwie auch konsequent, wenn es in besagtem Buch doch um die Vervollkommnung der eigenen Inkonsequenz geht. Doch erst mal von Beginn an. „Murp“ von Oliver Uschmann (der stolz darauf ist, seine Buchhändlerausbildung nach einem Tag beendet zu haben) gehört zur Reihe der „Hartmut und ich„-Erzählungen. Und der Quereinstieg war für mich problemlos möglich 😉

Worum geht’s?
Zwei Paare auf der Flucht vor dem Finanzamt und dem Erwachsenwerden machen sich daran, Deutschlands Autobahnraststätten mit einer „Kunstpause“ getauften Wanderausstellung zu beglücken. In der Tradition einschlägiger Roadmovies und -romane treffen Sie dabei auf skurrile Typen und ihre ganz persönlichen Themen. Nebenbei schreibt Hartmut (nicht) an einem Roman zur Vervollkommnung der Unvollkommenheit und die schräge Truppe mischt eine beängstigende Zukunftsversion der Elite-Schule auf Rädern auf.

Und – wie war’s?
Der Beginn zieht sich etwas. Hartmuts Chaotentum erscheint zu Beginn zu sitcomtauglich überdreht, bald gewinnt man aber sowohl ihn, als auch die gesamte Konstellation der Charaktere lieb. Ab da genießt man anarchischen Humor gepaart mit überraschenden Weisheiten. Ein bißchen wirkt es so, als sähe man einem liebenswerten Lebenskünstler beim Spinnen zu. Vielleicht ist es auch genau so. Qualität gewinnt das Buch durch die teilweise doch recht bissigen „Zettel“ mit Hartmuts Romanfragmenten. Manche der Beobachtungen haben das Zeug zum Klassiker. Mein Favorit ist „der lange Hänger“, den ich hier gerne zitieren möchte:

Unperfektsein funktioniert nur im Kontext zu einem Partner, der den Überblick behält. Folgen beide Partner dem „Es wird schon seine Richtigkeit haben“-Prinzip verlassen wir den Bereich des Unperfektseins und gelangen in Gefilde, in denen jedes Leben frühzeitig endet. Bemühen Sie sich daher darum, einen Partner an Ihrer Seite zu haben, für den Ihre Unaufmerksamkeit vollkommen unbegreiflich ist.

In dem Fall können Sie endgültig und ohne viel Mehraufwand Ihre gesamte Würde verlieren und einen Prozess der Selbstverachtung bei gleichzeitig köchelnder Wut einleiten. Und zwar so: Stellen Sie sich neben Ihre Frau, während diese das Problem löst und Sie selbst nachweislich nichts tun können. Gehen Sie nicht weg. Sagen Sie sich, Weggehen wäre dreist. Bleiben Sie also stehen und schauen Sie sich an, wie Ihre Frau das Öl nachfüllt, den Gaszug richtet, den Gebrauchtwagenhändler zusammenscheißt oder im häuslichen Alltag ihr Windows neu installiert oder die Heizung entlüftet. Stehen Sie daneben und nehmen Sie folgende Körperhaltung ein:

– Rücken krumm, leichter Buckel,
– Bäuchlein raus,
– Kinn leicht nach vorn gestreckt, Mund halb offen, Augen geradeaus,
– Arme ohne jede Muskelspannung nach unten hängen lassen.
(Gerade letzteres is bedeutsam, denn es unterstreicht Ihre Hilflosigkeit. Ihre Arme – Instrumente des Handelns und Anpackens – sind inaktiv und funktionslos.)

Diese Haltung nennen wir unter Unperfekten den „langen Hänger“. Wichtig ist hierbei neben der würdelosen, spannungsfreien und passiven Körperhaltung vor allem Ihr Blick. Sie müssen stieren. Sehen Sie durch alles hindurch, stieren Sie, aber stieren Sie betroffen. Sie müssen derartig betroffen sein, dass es scheint, als hätten Sie soeben erfahren Sie seien für einen Völkermord verantwortlich…

„Murp – Hartmut und ich verzetteln sich“ gibt es als Taschenbuch und als Hörbuch

Jul 11

David Safier: Jesus liebt mich

Der Bestseller- und Drehbuchautor David Safier hat mit „Jesus liebt mich“ eine Mischung zwischen „Bridget Jones“ und „Das Leben des Brian“ vorgelegt, die sich monatelang auf der Spiegel-Bestseller-Liste hielt. Durch einen netten Zufall bekam auch ich das Buch zu lesen…

Worum geht’s?

Das weibliche Nervenbündel Marie gibt ihrem treusorgenden Freund in der Kirche das Neinwort und trifft kurz darauf einen gutaussehenden Mann mediterranen Typs, der sich Joshua nennt und behauptet Jesus zu sein. Marie verliebt sich in den stets freundlichen aber etwas weltfremd wirkenden Exoten und diese Liebe scheint erwidert zu werden. Als weitere Zutaten zu dieser romantischen Komödie gibt es noch den videosüchtigen Nerd-Freund, den Ex-Engel Gabriel, die ukrainische Ex-Nutte Swetlana (die gleichzeitig die neue Liebe ihres Vaters ist) sowie ihre psychotherapeutische Mutter und einen Schwan, der wahlweise wie George Clooney oder Alicia Keys aussieht aber in Wirklichkeit jemand ganz anderes ist.

Und – wie war’s?

So absurd die Besetzungsliste, so krude die Story. Betont gewollt „witzig“ (und damit immer ein wenig über das Ziel hinausschießend) reihen sich hier ach so spassige Dialoge und Slapstick-Szenen aneinander. Wer Bridget Jones mochte, wird hier einige deja-vu-Erlebnisse verzeichnen können. Fast könnte man meinen es wurde im großen Stil abgekupfert und das ganze noch um ein paar religiöse Zusätze erweitert. Diese kommen doch recht betulich daher. So klischeebehaftet wie die anderen Hauptakteure auftauchen wird hier auch ein schüchterner Jesus Christ Superstar in der Identitätskrise porträtiert der seinen apokalyptischen Auftrag noch mal überdenkt.

Mein Fazit: Gut für ein paar Lacher, aber sonst leider ziemliches Fast-Food. Was schön gelungen ist, ist die Integration der Comic-Zeichnenden Schwester von Marie, die immer mal wieder thematisch passende Bildfolgen einstreut.

„Jesus liebt mich“ gibt es als Gebundene Ausgabe, Taschenbuch und als Hörbuch.

Mai 06

Eoin Colfer: Artemis Fowl – Das Zeitparadox

Der sechste Band der überaus erfolgreichen Nicht-mehr-nur-Kinder-Serie Artemis Fowl muss sich eines altbekannten Tricks bedienen: Um das doch eher aussichtslose Ende des letzten Teils zu umgehen, muss eine Zeitreise her, um der Story wieder in der gewohnten Umgebung Schwung zu verleihen.
Dabei geht es um eine Tierart, deren letztes Exemplar Artemis an eine Gruppierung verkauft hatte, die sich die Ausrottung von Tieren auf die Fahnen geschrieben hat. Eine böse Tat, die sich rächt, als seine Mutter an einer Krankheit erkrankt, die nur mit Hilfe dieses Tieres geheilt werden kann. Auch dies ist nicht besonders originell.

Die wahren Artemis-Fans kommen sicherlich auf ihre Kosten. Alle bekannten Charaktere (Holly, Foaley, Butler, Mulch…) sind mit von der Partie. Wer allerdings überraschenderweise fehlt ist Artemis Gegenspielerin aus dem fünften Band, der wohl so mancher Leser schon eine Zukunft an Seite von Artemis (oder wieder als seine Gegenspielerin) andichten wollte. Für Einsteiger ist der Band nicht zu empfehlen. Zu viele Insider-Witze, zu wenig mitreissend die Story. Diese plätschert nämlich meiner Meinung nach ziemlich lustlos vor sich hin ohne echte Überraschungen zu bieten.

Artemis Fowl – Das Zeitparadox gibt es als Gebundene Ausgabe, kostengünstige Paperback-Ausgabe und als Hörbuch.