Oliver Uschmann: Murp

Es ist ungewöhnlich in eine Serie beim vierten Band einzusteigen. Aber irgendwie auch konsequent, wenn es in besagtem Buch doch um die Vervollkommnung der eigenen Inkonsequenz geht. Doch erst mal von Beginn an. „Murp“ von Oliver Uschmann (der stolz darauf ist, seine Buchhändlerausbildung nach einem Tag beendet zu haben) gehört zur Reihe der „Hartmut und ich„-Erzählungen. Und der Quereinstieg war für mich problemlos möglich 😉

Worum geht’s?
Zwei Paare auf der Flucht vor dem Finanzamt und dem Erwachsenwerden machen sich daran, Deutschlands Autobahnraststätten mit einer „Kunstpause“ getauften Wanderausstellung zu beglücken. In der Tradition einschlägiger Roadmovies und -romane treffen Sie dabei auf skurrile Typen und ihre ganz persönlichen Themen. Nebenbei schreibt Hartmut (nicht) an einem Roman zur Vervollkommnung der Unvollkommenheit und die schräge Truppe mischt eine beängstigende Zukunftsversion der Elite-Schule auf Rädern auf.

Und – wie war’s?
Der Beginn zieht sich etwas. Hartmuts Chaotentum erscheint zu Beginn zu sitcomtauglich überdreht, bald gewinnt man aber sowohl ihn, als auch die gesamte Konstellation der Charaktere lieb. Ab da genießt man anarchischen Humor gepaart mit überraschenden Weisheiten. Ein bißchen wirkt es so, als sähe man einem liebenswerten Lebenskünstler beim Spinnen zu. Vielleicht ist es auch genau so. Qualität gewinnt das Buch durch die teilweise doch recht bissigen „Zettel“ mit Hartmuts Romanfragmenten. Manche der Beobachtungen haben das Zeug zum Klassiker. Mein Favorit ist „der lange Hänger“, den ich hier gerne zitieren möchte:

Unperfektsein funktioniert nur im Kontext zu einem Partner, der den Überblick behält. Folgen beide Partner dem „Es wird schon seine Richtigkeit haben“-Prinzip verlassen wir den Bereich des Unperfektseins und gelangen in Gefilde, in denen jedes Leben frühzeitig endet. Bemühen Sie sich daher darum, einen Partner an Ihrer Seite zu haben, für den Ihre Unaufmerksamkeit vollkommen unbegreiflich ist.

In dem Fall können Sie endgültig und ohne viel Mehraufwand Ihre gesamte Würde verlieren und einen Prozess der Selbstverachtung bei gleichzeitig köchelnder Wut einleiten. Und zwar so: Stellen Sie sich neben Ihre Frau, während diese das Problem löst und Sie selbst nachweislich nichts tun können. Gehen Sie nicht weg. Sagen Sie sich, Weggehen wäre dreist. Bleiben Sie also stehen und schauen Sie sich an, wie Ihre Frau das Öl nachfüllt, den Gaszug richtet, den Gebrauchtwagenhändler zusammenscheißt oder im häuslichen Alltag ihr Windows neu installiert oder die Heizung entlüftet. Stehen Sie daneben und nehmen Sie folgende Körperhaltung ein:

– Rücken krumm, leichter Buckel,
– Bäuchlein raus,
– Kinn leicht nach vorn gestreckt, Mund halb offen, Augen geradeaus,
– Arme ohne jede Muskelspannung nach unten hängen lassen.
(Gerade letzteres is bedeutsam, denn es unterstreicht Ihre Hilflosigkeit. Ihre Arme – Instrumente des Handelns und Anpackens – sind inaktiv und funktionslos.)

Diese Haltung nennen wir unter Unperfekten den „langen Hänger“. Wichtig ist hierbei neben der würdelosen, spannungsfreien und passiven Körperhaltung vor allem Ihr Blick. Sie müssen stieren. Sehen Sie durch alles hindurch, stieren Sie, aber stieren Sie betroffen. Sie müssen derartig betroffen sein, dass es scheint, als hätten Sie soeben erfahren Sie seien für einen Völkermord verantwortlich…

„Murp – Hartmut und ich verzetteln sich“ gibt es als Taschenbuch und als Hörbuch

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