Mrz 15

Dr. Christian Ankowisch: Dr. Ankowitschs Kleines Universal-Handbuch

Was mag das nur für ein Buch sein? Ein Universal-Handbuch. Aufschluss gibt das Vorwort: Pate stand das berühmte Handbuch des Fähnlein Fieselschweif, das allen Donald Duck-Lesern sehr gut bekannt sein dürfte. Als Kind wünscht man sich immer, dass es so ein Buch tatsächlich geben könnte. Und jetzt ist es käuflich zu erwerben?

Der österreichische Journalist Dr. Christian Ankowitsch hat einen Versuch unternommen. Und das Repertoire des Buchs ist tatsächlich ähnlich breit gefächert wie das „Original“. So tummeln sich neben so trockenen Fakten wie der Auflistung sämtlicher internationaler Telefonvorwahlen auch quasi-philosophische Abhandlungen wie „Werden Sie paradox – zumindestens gelegentlich“, aber auch Klassiker wie „So bügeln Sie ein Hemd“, abstruses wie „So beeinflussen Sie Ihre Träume“ und sprachwissenschaftliches wie „Verwenden Sie keinesfalls Ausrufungszeichen!“. Meist belegt mit entsprechenden Quellenangaben, findet sich hier ein Füllhorn des mehr oder weniger nützlichen Wissens.

Das ganze gibt es als günstiges Taschenbuch für gerade mal 5 Euro und macht sich gut in jedem (Gäste-)klo als Zwischendurchlektüre mit gut verdaubaren (Informations-)häppchen.

Feb 21

Alberto Vazquez-Figueroai: Tuareg

Manchmal gibt es echte Überraschungen im Leben. So wie das Buch „Tuareg“, das ich letztes Jahr überraschend geschenkt bekam. Weder ich noch der Schenker kannten das Buch. So lag es dann auch eine Weile auf dem Stapel der Neuzugänge, bis mich die Neugier weit genug getrieben hat – ein Entschluss, den ich nicht bereut habe.

Worum geht’s?
Gacel Sayah ist einer der letzten freien Tuareg in der Sahara, der sein Leben nach den alten Gebräuchen und Gesetzen ausrichtet. Politische Wirren interessieren ihn nicht, da sie sein Leben nicht verändern. Alles ändert sich, als eines Tages zwei unbekannte Gäste in seinem Lager angegriffen werden und dadurch er als Gastgeber die Verpflichtung sieht einzugreifen. Er beginnt einen langen und entbehrungsreichen Kleinkrieg gegen die neuen „Herren der Wüste“, die diese aber nicht einmal ansatzweise so verstehen wie er.

Und – wie war’s?
Die Kompromisslosigkeit, mit der Gacel seiner vermeintlichen Pflicht nachkommt übersteigt die Grenzen einer Besessenheit. Der Leser lernt viel über das (Über)Leben in der Wüste und gewinnt Achtung für die archaische Kultur der Tuareg. Geschrieben ist das Buch in schöner fliessender Sprache ohne besondere Glanzlichter. Überraschend ist die unglaubliche Gerissenheit, mit der Gacel auf seinem Feldzug vorgeht – nichts bleibt dem Zufall überlassen und er nutzt alle Register eines erfahrenen Wüstenbewohners. Nebenbei wird auch viel philosopiert, ein wenig wie im berühmten Papalagi. So wie in diesem interessanten Zitat:

Dann fragte er: „Weißt du überhaupt, was ein Kommunist ist?“
Gacel schüttelte den Kopf. „Nein, von denen habe ich noch nie gehört. Ist das eine Sekte?“
„Mehr oder weniger, aber keine religiöse, sondern nur eine politische.“
„Eine politische?“ wiederholte Gacel verständnislos.
„Ja, sie behaupten, alle Menschen seien gleich und hätten dieselben Rechte und Pflichten. Ihrer Meinung nach sollte sich die Menschen alle Reichtümer teilen…“
„Wollen Sie etwa, daß der Kluge und der Dumme, der amahar und der Sklave, der Arbeiter und der Nichtsnutz, der Krieger und der Feigling gleich sind?“ rief Gacel verblüfft aus. „Sie sind wahnsinnig! Wenn Allah uns ungleich geschaffen hat, wie können sie dann wollen, daß wir uns alle gleichen?“ Er holte tief Luft „Was würde es mir dann noch nützen, als Targi geboren worden zu sein?“
„Die Sache ist viel komplizierter“, sagte der Alte entschieden.
„Das kann ich mir denken“, gab Gacel zu. „Es muss alles viel, viel komplizierter sein, sonst würden wir über eine solche Dummheit nicht so viele Worte verlieren.“ Er verstummte zum Zeichen, dass das Thema für ihn erledigt sei.

„Tuareg“ gibt es als Taschenbuch für 7,95 Euro.

Jan 23

Andrea Maria Schenkel: Tannöd

Patente Bauersfrau schreibt Millionenbeststeller zu ungelöstem Bauernhofmord – ungefähr so liest sich die Entstehungsgeschichte von Tannöd, der der nach wie vor ungeklärte Mordfall von Hinterkaifeck zugrunde liegt. Tannöd wurde 2009 verfilmt und läuft derzeit in den Kinos.

Worum geht’s?
Auf einem einsamen Einsiedlerhof im Deutschland der 50er Jahre wird eine ganze Familie brutal ermordet aufgefunden. Die Familie war nicht beliebt und hatte einige virtuelle Leichen im Keller, die anhand von Zeugenaussagen im Zuge der Ermittlungen ans Licht kommen. Am Ende steht für den Leser fest, wer der Täter ist.

Und – wie war’s?
Der Aufbau des Buches ist nicht ganz so genial wie angekündigt. Zusätzlich zu den Zeugenaussagen, gibt es nämlich noch einige eingestreute Fragmente aus der Ich-Perspektive des Täters. Und dazwischen immer wieder mal pathetische Bauerngebete aus einem alten Gebetsbuch mit formelhaften Bitten zur Vergebung. Eleganter wäre es gewesen, den Täter am Schluss rein durch die Beobachtung der Zeugenaussagen festmachen zu können. Zudem fällt auf, dass – vom 8jährigen Mädchen bis zum Bürgermeister – die Zeugenaussagen sich sprachlich nur sehr wenig unterscheiden. Hier hätte mehr Genauigkeit und Differenzierung das Buch ebenfalls noch veredelt.

Das Buch ist sehr gut an einem Tag zu lesen und hat auf mich jetzt nicht den erhofften bleibenden Eindruck hinterlassen.

Tannöd gibt es als Taschenbuch und als Hörbuch.

Jan 08

Stieg Larsson: Verblendung, Verdammnis, Vergebung

Die Triologie von Stieg Larsson, dessen Vita wohl schon alleine Stoff für mehrere Bücher geben würde, hat neben einer spannenden Veröffentlichungsgeschichte (3 von ursprünglich 10 geplanten Büchern, Erstling als bester Krimi Schwedens geehrt, posthum mit Preisen überhäuft) auch inhaltlich einiges zu bieten.

Worum geht’s?
Ist natürlich etwas schwierig, wenn man nicht zu viel verraten möchte… Während die deutschen Titel fast schon religiös (schreckliches Wort) klingen – was durch die Cover-Auswahl noch unterstrichen wird – geht es bei den Originaltiteln schon in die richtige Richtung „Männer die Frauen hassen“ (Verblendung), „Das Mädchen, das mit dem Feuer spielte“ (Verdammnis) und „Das Luftschloss, das gesprengt wurde“ (Vergebung). Im Mittelpunkt stehen stets der pfiffige Journalist Mikael Blomkvist und die außerordentlich spannend gestaltete Figur der Lisbeth Salander, eine sehr intelligente, sozial schwierige junge Frau mit einem sehr eigenen Verhaltenscodex. In Verblendung beginnt alles mit dem sehr viele Jahre zurück liegenden Verschwinden der Nichte eines Großindustriellen, das Blomkvist aufklären soll. In Verdammnis und Vergebung geht es um die Vergangenheit von Lisbeth Salander, die einige Geheimnisse birgt, deren Enthüllung wichtige Leute verhindern wollen. Doch es geht daneben noch um viel mehr: Darum was investigativen Journalismus ausmacht, welche Rolle Massenmedien in der heutigen Gesellschaft spielen, um ein Plädoyer für Toleranz gegenüber Menschen die jenseits des Mainstream leben (ob gerechtfertigt oder nicht sei hier mal dahin gestellt), um Selbstverwirklichung und die Mechanismen, die eine Gesellschaft formen. Hier insbesondere auch um die schwedische Gesellschaft.

Und – wie war’s?
Schwer zu sagen. Fangen wir mal mit dem Positiven an:

Einmal angefangen, lassen die Bücher kaum Raum für andere Freizeitbeschäftigungen. So spannend und einfach gut geschrieben möchte man einfach immer weiterlesen. Die Themenvielfalt (s. o.) geht weiter über klassische Krimis hinaus. Besonders die Einblicke ins Medienbusiness sind sehr spannend und dank der persönlichen Erfahrungen von Larsson (als Herausgeber von EXPO) wohl auch realistisch. Die Bücher verhindern aktiv eine zu starke Identifikation mit den Hauptfiguren, da man an jeder einiges auszusetzen hätte. So gibt es nicht den „strahlenden Held“ ohne Flecken, sondern nur Menschen mit spannenden Biographien und ungeschliffenen Kanten.

Und jetzt, was mir nicht so gut gefallen hat:
Es gibt sehr, sehr viele ekligen Szenen, die man weder sehen noch lesen möchte. Werde mir daher auch den Film eher nicht ansehen. Schade drum, denn diese Szenen trüben zumindest meinen Lesegenuss enorm und sorgen dafür, dass ich die Bücher nur bedingt weiterempfehlen kann. Für die Handlung hätte es auch deutlich weniger explizit gereicht und man fragt sich manchmal, warum Larsson so sehr ins Detail geht.

Dez 17

Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt

Mit diesem Buch ist Daniel Kehlmann berühmt geworden. Ein paar Jahre nach dem großen Hype habe ich es auch endlich gelesen…

Worum geht’s?
Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß gehören zu den letzten echten Universalgenies. Beide haben auf ihre Weise versucht, die Welt um sie herum zu begreifen und für andere begreifbarer zu machen. Beide waren in ihren Fachgebieten richtungsweisend und hatten doch gewisse menschliche Makel und Schrulligkeiten. Das Buch erzählt lose von ihrer Kindheit, ihren Errungenschaften, ihrem Menscheln und schliesslich davon, wie sich die beiden treffen und mit ihrer sehr unterschiedlichen Herangehensweise miteinander diskutieren.

Und – wie war’s?
Die Kapitel wechseln zwischen Gauß und von Humboldt, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Südamerika und deutscher Provinz. Ähnlich sprunghaft und im Grunde genommen vollkommen spannungslos verläuft das ganze Buch. Es gibt nette Anekdoten zu den schrulligen Professoren und urkomische Einlagen (mögen sie jetzt auf wahren Ereignissen beruhen oder nicht). Aber was bleibt ist im Grunde genommen nur das Gefühl unterhalten worden zu sein und mehr nicht. Schade. Nett gemacht, aber mehr halt leider nicht.

Das bereits besprochene Ruhm gefällt mir insgesamt deutlich besser.

„Die Vermessung der Welt“ gibt es als Taschenbuch, Gebundene Ausgabe und Hörbuch
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Nov 22

Carlos Ruiz Zafon: Der Schatten des Windes

Nachdem „Der Schatten des Windes“ für mich seinerzeit des Buch des Jahres war, konnten die Erwartungen an „Das Spiel des Engels“ kaum größer sein. Der Klappentext liest sich fast wie ein Prequel zum Schatten: Wieder geht es um besondere Bücher, schauerliche Geschichten in besonderen Häusern und schliesslich und endlich: um Barcelona, die Heimatstadt Zafons.

Worum geht’s?
Der vom Glück bisher alles andere als begünstigte David Martin wird als Zeitungsjournalist entdeckt und bald durch einen Knebelvertrag zum Schreiben von Schundromanen in hervorragender Qualität für einen Hungerlohn verpflichtet. Er träumt davon, ein eigenes Buch zu veröffentlichen, scheitert jedoch an der Ungnade seiner Umwelt. Nur ein Buchladen des alten Schlages hält ihm die Stange und ermutigt ihn immer wieder. Als ein undurchsichtiger Fremder ihn mit viel Geld für einen Roman engagieren will und er sich auf das dubiose Geschäft einlässt, beginnt seine Welt langsam aber sicher in Brand zu geraten…

Und – wie war’s?
Die Atmosphäre des Buchs ist düster. Noch deutlich düsterer als in „Der Schatten des Windes“, an den man sich ständig erinnert fühlt. Die Ideen sprudeln nicht mehr ganz so massig (obwohl immer noch deutlich mehr Kuriosa zu bestaunen sind, als in den meisten anderen Büchern), der Witz st nicht mehr ganz so treffsicher. Außerdem sterben mir zu viele Protagonisten ohne besonderen Grund.
Dafür ist das Spiel des Engels eines, das sehr packend und spannend ist. Man möchte, man kann das Buch fast nicht aus der Hand legen, auch wenn man am nächsten Tag früh aufstehen muss und eigentlich besser schlafen sollte.
Ich denke das Hauptproblem des Buches sind die sehr hohen Erwartungen, denen es leider nicht gerecht wird. Vor diesem übermächtigen Vorgänger verblasst es und seine Fehler treten zu deutlich zu Tage. Zafon hätte das Setting wechseln sollen, um dieses Problem zu entschärfen, aber bei so vielen Überschneidungen drängt sich der Vergleich zu sehr auf und da kann das Buch nur verlieren.

Das interessante Zitat
Folgendes Zitat fand ich „eselsohrrelevant“ (S. 311), da es vollkommen unvermittelt im Gespräch der Luzifer-Figur mit dem David Martin kommt:

„Und sind sie ein Gläubiger oder ein Skeptiker?“
„Ich bin ein Profi. Und Sie auch. Was wir glauben oder nicht, ist irrelevant für das Gelingen unserer Arbeit. Glauben oder nicth glauben ist eine kleinmütige Frage. Man weiß, oder man weiß nicht. Punktum.“
„Dann muss ich gestehen, dass ich nichts weiß.“
„Folgen Sie diesem Weg, und Sie werden in die Fußstapfen des großen Philosophen treten. Und dazwischen lesen Sie die Bibel von vorn bis hinten. Sie ist eine der größten je erzählten Geschichten. Machen Sie nicht den Fehler, das Wort Gottes mit der Messbuchindustrie zu verwechseln, die davon lebt.“
Je länger ich in Gesellschaft des Verlegers war, desto weniger meinte ich ihn zu verstehen.
„Ich glaube, ich habe den Faden verloren. Wir sprechen von Legenden und Fabeln, und jetzt sagen Sie mir, ich soll an die Bibel glauben, als wäre sie das Wort Gottes?“
Ein Schatten der Ungeduld und Gereiztheit legte sich auf seinen Blick.
„Ich spreche im übertragenen Sinn. Gott ist kein Schwätzer. Das Wort ist Menschenwährung.“
Dann lächelte er mir zu, wie man einem Kind, das die elementarsten Dinge nicht versteht, zulächelt, um es nicht ohrfeigen zu müssen.“

Für alle, die das Buch gelesen habe, hier meine persönliche Theorie zu dem Buch, das David Martin schreibt: (Achtung Spoiler-Alarm!)
Aus diversen Andeutungen meine ich zu erkennen, dass das Buch ohne Probleme „Mein Kampf“ heißen könnte und sozusagen später von Adolf Hitler aus der „Bibliothek der vergessenen Bücher“ entführt wurde 😉 Der religionsersetzende und gleichzeitig menschenverachtend zersetzende Charakter und vor allem die Umsetzung des Verlegertipps, dass unbedingt noch ein „Schuldiger“ eingebaut werden müsse, damit es „funktioniert“ wären damit gut umgesetzt worden.

Derzeit gibt es „Das Spiel des Engels“ leider nur als Hardcover und als Hörbuch (9 CDs).

Okt 27

Adrian Plass: Der Grashalm

Untertitel: Die kleine Geschichte einer großen Entscheidung

Die Kurzgeschichte, die Brendow hier in einer 78-seitigen Hardcover-Ausgabe herausgebracht hat ist für Plass-Fans schon länger bekannt. Genauer gesagt seit 1997, als „…und der Grashalm sprach. Vater-Sohn Geschichten“ in Deutschland erschienen ist. Neu in der neuen Ausgabe ist ein Vorwort des Autors, das den starken autobiographischen Bezug der Geschichte deutlich macht.

Worum geht’s?
Paul hat bisher auf ganzer Linie versagt: Als Vater, als Ehemann, als Freund und als Schriftsteller. Als sein Freund und Saufkumpan ihn in der Kneipe mit einer möglicherweise weitreichenden Änderung konfrontiert, besäuft er sich hemmungslos. Seine Frau stellt ihm am nächsten Tag ein Ultimatum, dass sich „etwas ändern“ muss und im Gespräch mit einem Grashalm stellt er sich seinen Gefühlen und trifft eine Entscheidung.

Und – wie war’s?
Die Kurzgeschichte führt tief in die Gefühlswelt des außer Tritt geratenen Protagonisten. Und dort gibt es einiges an Abgründen zu entdecken. Das ist nicht immer schön zu lesen, aber so ist das eben manchmal mit unschönen Wahrheiten. Während dem Text der große innere Monolog sehr gut gelingt, wirkt das Ende etwas sehr abrupt und lässt den Leser aufgrund vieler offener Fragen etwas im Unklaren. Andererseits bleibt so noch genug Möglichkeit, seinen eigenen Gedanken nach zu hängen.

Die Ankündigung des Verlags als „Der ebenbürtige Nachfolger des Plass-Klassikers ‚Der Besuch'“ ist für mich eine reine Marketing-Aussage – denn weder inhaltlich noch sprachlich kann „Der Grashalm“ in dieser Liga mithalten. Für sich genommen ist die Geschichte jedoch durchaus lesenswert.

Okt 23

Judy Bailey: „Und ich sang“

Untertitel: „Ein Leben für die Musik“

Der Untertitel klingt wohl etwas sehr pathetisch für eine 40-jährige, die durchaus noch musikalisch aktiv ist und nicht aus dem Olymp auf ein langes vergangenes Leben zurück blickt. Die aus Barbados stammende Judy Bailey ist mir hauptsächlich durch das Lied „Jesus in my House“ (vgl. Youtube) bekannt, einem eingängigen Lied. Und jetzt also eine „Biographie“.

Worum geht’s?

In „Und ich sang“ schildert Judy Bailey nicht nur, woher Ihr Nachname kommt, sondern so ziemlich alles, was sie in ihrem Leben bisher erlebt hat. Und zwar sehr persönlich und immer aus der Ich-Perspektive. Das kommt sehr sympathisch rüber und sorgt dafür, dass man das – mit vielen Fotos versehene – Buch gut in einem Rutsch lesen kann und fast das Gefühl hat, sie säße daneben und plaudere eben so aus ihrem Leben. Und dieses Leben hat es ganz schön in sich und ich war an vielen Stellen überrascht, was sich hinter der Musikerin und graduierten Psychotherapeutin noch so alles verbirgt. Sowohl menschlich als auch musikalisch ist hier eine große Bandbreite geboten und so erfährt man nicht nur vom Verhältnis zu ihren Eltern und ihrem Mann, sondern auch von persönlichen Niederlagen und Charterfolgen sowie dem Verhältnis zu anderen Künstlern. Von Wohzimmerkonzerten bis zu 400.000 Zuschauern hat Judy Bailey alles erlebt und das präsentiert sie immer nett und unterhaltsam in diesem im Brendow-Verlag erschienenen 144-Seiten Buch.

Und – wie war’s?

Wer hohe Literatur erwartet ist hier falsch. Auch Erkenntnisse über den Augenblick hinaus sucht man wohl vergeblich. Aber nett zu lesen ist es auf jeden Fall.

Wer mehr wissen will, kann auch die offizielle Webseite www.judybailey.com besuchen.

Aug 28

William P. Young: Die Hütte

Untertitel: Ein Wochenende mit Gott

Ohne Frage ein ganz besonders Buch: Ursprünglich vom kanadischen Autor William P. Young als Weihnachtsgeschenk für seine Kinder geschrieben und dann im Selbstverlag herausgebracht, hat die englische Version es geschafft praktisch nur über Mundpropaganda in über 6 Millionen (!) Exemplaren verkauft zu werden und zum New York Times Bestseller zu werden. Allein das ist schon … sagen wir mal „ungewöhnlich“. Und dann das Thema: Es geht um nicht weniger als die Frage nach dem Wesen Gottes und vor allem die berühmte Theodizee-Frage, sprich: „Woher kommt das Leid und wie kann Gott es zulassen?“. Alles andere als leichte Massenkost möchte man meinen.

Doch damit nicht genug: Auch privat haben mir persönlich drei Leute innerhalb kurzer Zeit das Buch dringend empfohlen. Eine davon hat es mir sogar gleich geschenkt, obwohl wir uns sonst eher selten sehen und uns noch nie gegenseitig Bücher geschenkt haben. Es ist also etwas dran an dem Buch, das sich als Phänomen beobachten, aber schwer in ernsthafte Kategorien verpacken lässt…

Worum geht’s?
Der Ich-Erzähler muss miterleben, wie seine Tochter von einem Kinderschänder entführt und aller Wahrscheinlichkeit nach getötet wird. Nach einigen Jahren voller Schmerzen und einer „großen Traurigkeit“, die er seitdem mit sich herum schleppt flattert ihn ein Brief ins Haus, der von Gott zu sein scheint und ihn dazu auffordert sich in der Hütte (dem Ort wo das Blut seiner Tochter gefunden wurde) zu treffen. Was ihn dort erwartet verändert ihn dauerhaft. (Mehr will ich hier lieber nicht verraten)

Und – wie war’s?
Das Buch zieht sich zu Beginn etwas. Die Sprache ist „schön“, aber aus meiner Sicht auch etwas sehr blumig im Sinne von ausschweifend. Die ersten knapp 100 Seiten haben für mich zu wenig Inhalt. Doch was danach kommt, lohnt den langsamen Einstieg allemal. In diversen Lektionen geht es theologisch ans Eingemachte, ohne auch nur sich auch nur annäherungsweise theologisch anzufühlen. Das Wesen Gottes und der Dreieinigkeit wird aus der Sicht des Autors begreiflich und erfahrbar gemacht und auch die großen Fragen des Lebens werden nicht ausgespart.

Eine klare Empfehlung von mir für alle, die sich für das Wesen Gottes interessieren und in eine spannende Geschichte verpackt darüber lesen möchten.

Vergleich der englischen und deutschen Ausgabe
Ich habe das Buch zwei mal gelesen – zuerst auf Englisch und dann auf Deutsch. Die englische Version hat mir besser gefallen, die Übersetzung wirkte mir teilweise etwas platt. Außerdem nervt bei der deutschen Ausgabe, dass der offensichtlich sehr kommerzorientierte Verlag ohne viel Gespür für Takt erstens eine Seite Werbung im Buch hat (was ich an sich schon widerlich finde) und zweitens diese auch noch mit der Überschrift „Spirituell telefonieren“ für einen Handyvertrag mit Horoskopdienst wirbt (was ich sowohl dämlich, als auch geschmacklos und an der Zielgruppe vorbei gedacht finde). Dafür hat die deutsche Version einen längeren Teil mit Informationen des Autors zu bieten. Die Geschichte ist so geschrieben, als sei sie trotz aller phantastischen Elemente tatsächlich geschehen. In der englischen Version wird dieser Eindruck durch ein fiktionales „Nachwort“ in dem vom weiteren Ergehen der Hauptperson die Rede ist sogar noch verstärkt. In der deutschen Version wird dieser Sachverhalt durch das Nachwort des Autors eindeutig geklärt.

Bei Wikipedia gibt es einen längeren deutschen Artikel über die Hütte und ein paar Informationen zum Drumherum.

„Die Hütte“ gibt es bei Amazon als Gebundene Ausgabe und als Hörbuch. Auch die (wesentlich günstigere und meiner Meinung nach bessere) englische Paperback-Ausgabe ist dort erhältlich.

Apr 25

Daniel Kehlmann: Ruhm

Daniel Kehlmann – der junge deutsche Shootingstar unter den Autoren. Jetzt also auch in meinem Bücherregal. Und zwar mit einem dünnen, aber sehr interessanten Buch „ruhm – ein roman in neun geschichten“. Obwohl ich Leute, die die Shift-Taste nicht finden eigentlich per se suspekt finde und mich hier grundsätzlich auf dünnem Eis bewege (handelt doch eine der 9 Geschichten von einem sozial verarmten Blogger, der nichts besseres zu tun hat als einem Schriftsteller nachzustellen), muss ich gestehen, dass mich Stil und Inhalt beeindruckt haben.

Worum geht’s?
In neun unabhängigen Geschichten mit vielen überraschenden Querverweisen, wird jeweils ein kurzer Abschnitt im Leben einer Person erzählt. Mal ernst, mal sehr lustig, immer zum Nachdenken anregend. Mit jeder Geschichte ändern sich Personen und Schreibstil. Das ist nicht nur stimmig, sondern macht auch echt Spaß. Alle neun Geschichten haben eine individuelle Überraschung integriert.

Und – wie war’s?
Durch die Kürze der einzelnen Geschichten ist das Buch schnell zu lesen und gut aufzuteilen. Aber eigentlich will man es ohnehin am Stück lesen und freut sich, wenn man wieder einen Link zu einer anderen Geschichte findet. Unterhaltsam, anregend – Empfehlung! Nur der Preis ist meiner Meinung nach viel zu hoch – aber dafür gibt es ja die Möglichkeit, es sich auszuleihen oder gebraucht zu kaufen…

„ruhm“ gibt es als Gebundene Ausgabe und als Hörbuch